St. Maurice / 10. Oktober 2015 / 62 Km / 3580 HM
LES DÉFIS DU JUBILÉ
Zum vorläufigen Abschluss der diesjährigen Ultra-Laufsaison gilt es für mich beim „Les Defis du Jublié“ die acht Herausforderungen erfolgreich zu bewältigen. Dieses nicht alltägliche Laufkonzept entstand im Zusammenhang mit dem Jubiläum zum 1500 jährigen Bestehen von Saint Maurice. An diesem strategisch günstigen gelegenen Ort, welcher sich nach der Engstelle zwischen dem Genferseebecken und dem Wallis befindet, haben sich im Jahre 515 einige Mönche niedergelassen und ein Kloster errichtet. Bei diesem „gemütlichen“ Ultralauf, welcher dieses Jahr zum zehnten Mal stattfindet, geht es in erster Linie ums Dabeisein und Geniessen. Aber alles von Anfang an.
Freitagabend mit dem Auto in Saint Maurice angekommen, versuche ich mich als erstes zu orientieren. Saint Maurice im unteren Rhonetal liegend, habe ich mir kleiner und übersichtlicher vorgestellt. Es ist nicht ganz einfach das Kloster, welches zugleich als Startgelände dient, ausfindig zu machen. Nach ein wenig Sightseeing bin ich dann doch noch im Innenhof des Klosters angekommen. Nun folgt das übliche Prozedere. Startnummer fassen, kurzer Austausch mit den Organisatoren, etwas in den aufliegenden Laufveranstaltungs-Prospekten schmökern und heute wird mir ungewohnter weise bereits jetzt die Medaille in die Hand gedrückt. Mittlerweile ist es 19.30 Uhr und draussen bereits dunkel. In einem Hotel zu übernachten erscheint mir als zu langweilig und deshalb habe ich mich dazu entschlossen im Ein-Personenzelt zu nächtigen. Bevor ich mein Zelt neben dem Fussballplatz aufrichten kann, muss ich noch kurz warten, bis die Flutlichter ausgeschaltet werden. Nun kann‘s losgehen. Verdeckt und getarnt mache ich mich ans Aufstellen. Schnell steht das Zelt und auch das Nachtessen, natürlich Pasta, ist rasch hergerichtet. Immer wieder gehen Leute an mir vorbei ohne mich zu bemerken. Ein wenig fühle ich mich als Schwerverbrecher… Kurz vor dem Einschlafen beginnt es am Zelt zu rascheln. Was ist denn das, denke ich mir und stupse mit dem Bein gegen das Zelt. Sofort hört es auf, aber so schnell wie es angefangen hat ist das Geräusch auch wieder da. Ob Maus, Marder oder was auch immer, es wird mich hoffentlich nicht verspeisen. Schnell schlafe ich ein. Nach einer sehr unbequemen und unruhigen Nacht bin ich ohne Wecker um halb sechs hellwach. Schnell abgebaut und für den Lauf bereit gemacht, stehe ich pünktlich um 7.00 Uhr an der Startlinie.
Ca. 100 Läuferinnen und Läufer setzen sich nach dem Startschuss in Bewegung. Zuerst geht’s leicht abfallend der Strasse nach bis wir die erste grössere Steigung erreichen. Alle sind relativ flott unterwegs, für meine Verhältnisse mit einer Pace von 4 min 50 s zu flott! Die erste Steigung bis auf Vérossaz vergeht im Flug. In Vérossaz ist die erste, von insgesamt acht Herausforderungen, geschafft. Bei diesem Laufkonzept kann man soweit laufen wie man will. Nach jeder überstandenen Herausforderung besteht die Möglichkeit auszusteigen. Der Rücktransport mit ÖV’s nach St. Maurice ist von diesen Zwischenzielen aus vom Veranstalter organisiert. Von dieser Option mache ich (noch?) keinen Gebrauch. Durch die Tatsache bedingt, dass viele Läufer auf sehr unterschiedlichen Distanzen unterwegs sind, gestaltet sich die Orientierung im Läuferfeld als unheimlich schwierig. Du weisst nie, ob jemand 6, 15, 31 oder sogar die ganzen 62 Kilometer zurücklegen will. Das verleitet dich immer wieder dazu dein Tempo zu verschärfen. Weiter hoch nach Mex treffen wir auf einen Alpabzug, welcher mit unzähligen Kühen die ganze Breite des Weges in Anspruch nimmt. Kurz durchatmen - eine kleine Zwangspause kann manchmal auch Vorteile haben…
Nach weiteren 20 km und 1200 Höhenmeter kann ich bei Finhaut Défi 5 abhacken. Gemäss Routenbeschrieb soll es nun etwas steiler und technisch anspruchsvoller werden. 400 Höhenmeter runter und wieder rauf. Auf diesem Teilstück begegne ich Fred, welcher aus Dänemark stammt und seit 10 Jahren in der Schweiz lebt. Er ist ein absolut harter Kerl und hat schon viele namhafte Ultratrail‘s gefinisht, so auch den legendären Hardrock 100! Diese Referenz können nur ganz wenige vorweisen. Stehen doch bei diesem Lauf jährlich nur etwa 350 Ultraläuferinnen und Ultraläufer am Start. Bei Dorénaz und dem Erreichen der 6. Herausforderung kann man nun direkt auf die Zielebene einbiegen oder aber noch einen kleineren Umweg über Alesse machen. Für die zusätzlichen 500 Höhenmeter haben wir uns schon zu Beginn entschieden und so nehmen wir den sehr steil ansteigenden Aufstieg in Angriff. Als Beweis dass wir oben waren, wird uns eine rote Schleife an die Startnummer getackert. Kurz verpflegt machen wir uns an den Abstieg. Immer wenn es leicht runter geht drückt Fred ordentlich auf die Tube. Ich habe manchmal richtig Mühe dran zu bleiben. Ein solches Zugpferd ist aber in gewissen Situationen eine grosse Hilfe. Unten angekommen geht es nun auch für uns auf die Zielgerade. Nur noch 8 km, dann sind wir im Ziel. Nun übernehme ich die Führung von uns zweien, war Fred doch auf den letzten 20 km mein Pacemaker. Hier auf diesem Teilstück kann ich meine Stärken nun voll ausschöpfen. Ich schalte meinen Kopf auf Standby, während die Beine den Rest erledigen. Dadurch gelingt es mir immer wieder, auch in Endphasen, ein anständiges Tempo vorzulegen. Noch 3 km, 2 km, 1 km, das Kloster ist in Sicht und Zieleinlauf. Geschafft! Hier im Ziel erübrigt sich die Frage nach dem Warum, kann man doch diese Frage unterwegs nur über Umwegen positiv beantworten. Hier im Ziel gibt es nur noch drei Wünsche: Eine warme Dusche, einen Stuhl und ein kühles Bier. Genau in dieser Reihenfolge haben wir schliesslich diese Bedürfnisse befriedigt. Nach einem hervorragenden Bier in bester Gesellschaft, nebst Fred gesellten sich noch weitere Kollegen von Fred zu uns, habe ich die eineinhalb stündige Heimreise angetreten.